Complexity for complexities sake
Er fuhr zum Konzert in den Miles Club. 2000, heute geschlossen. Ausfallsallee im Osten Berlins. (Heute traffic club? Otto Braun /Mollstraße ???)
Anfahrt in der Straßenbahn unter One-Night-Stand suchenden jungen Matronen, Frauen. alternden Mädchen, hormongesättigt, beginnend schwitzend. Dabei allen Geruch vorher weggespült, und auch hier nicht aufkommend. Vielleicht später. Säuerlich. Im Bett in den Laken. Weichgespült duftend.
Nette Unterhaltung mit ihr dennoch in der Straßenbahn (Ost), auf der Wegsuche dorthin, da sein Interesse aus einsamer Jagd kein Opfer sucht, besser er nicht wusste, was das ist. Die Frau Entpannung findend, erleichtert, in einer Feuerpause Atem schöpfend, der überbordenden Befriedungslust. Sie hatte sich wohlgefühlt.
Der Club zweigeteilt, vorne Theke, groß, voll, eher alkoholisch berlinerisch, wie er jetzt erkennt. Alle laut. Hinten Club, niedrige Decke, Mulgrew Miller und Niels Hennig Ørsted Pederson hinten auf der Bühne, leise, niedergschrieen. Dumpf. Er wusste, dass sie nicht laut spielen würden, sie würden niemanden übertönen. Sie wollten gehört werden, sie wollten, dass man ihnen zuhörte. Das war nicht der Fall, alle waren zu breit, zu begekifft, zu sehr getrieben auf der Suche nach dem Abenteuer.
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Sie spielten zum 100. Geburtstag Ellingtontitel im Duo. (Fachartikel jazztheorie hier, Sophisticated Lady ihm zu terzgeschichtet in der Bridge.)
Beim letzten Stück Come Sunday kapierte das Publikum nachträglich, was geschehen war, sie hatten das Konzert verpasst, klatschten frenetisch, trieben die Musiker in der Zugabe noch mal an, modern schnell zu spielen, intellektuell, Abschluss. Alle sind hereingefallen, Musiker und Publikum. Feiern sich selbst. Auch richtig irgendwie. Aber warum geht er dafür ins Konzert, es hindert doch nur. Protestantisch unerweckt, auffallen, aber im Sommer nicht oben ohne, prüde. Entkleide Dich! Calvinistisch sexueller Erfolg. Die frigide Hausfrau verdient mit ehelichem Porno Dollars, Tickets. Warum hat er Geld?
Vorne an der Bar unter Menschen neben ihm, die Frau fraß ihn an mit Kirschaugen, er war angefressen, unvollständig, die Kirschen boten sich an aus ihnen ein Stück abzubeissen, angebissen. Peinlich berührt von seinem Manko, das er nicht füllen konnte, wie ein Loch durch den Bauch, und das jeder bereits vor ihm bemerkt hatte, konnte er sich gelähmt nicht mehr vervollständigen, potenzieren, ein Defizit, pornografische Schulden, und sah gewohnt nur den intellektuellen Ausweg, ihm war, Angst oder Trieb, nicht bewusst, dass beides Leben ist, unpersönlich, sich seiner bedient, Zweifel, wie unfruchtbar das ist wären angebracht, steril sah sie wirklich nicht aus, sie erweckte ihn in eine Problematik, das Weib gegenüber sah ihn passiv aggressiv, von maszloser Lust getrieben, dabei in ihrer Art wirklich schön, gewaltbereit, kannibalisch, paradiesisch, weichlich, triefig, feucht an, er passte in ihr Opferschema, sie weich im Schritt, es rüttelte, schauderte sie, er wandte sich eises- und verstandeskalt außen steif mörderisch der Musik zu, er wollte zuhören, war zum Zuhören gekommen, und die Liebe zu Miller war wirklich größer, was sie nicht verstand, aber die Lust war mindestens gleich, aber Lust mit Miller sinnlos, das wusse er vor allem, logisch wie er war, er dachte, dass er wollte, Lust hätte er auch gewollt, innen gewaltig steif, wäre er vorbereitet, vollständig, sinnlich gewesen, wie sie sinnlich vom Hirn übers Herz bis in den Beckenboden, bis in die Facettengelenke, aber er der blondblaue Engel, sie die griffige Erkenntnis, alles brüllte, er Jungfrau wie er war, trauerte sofort der verpassten Gelegenheit nach, ja hat bis heute sich und ihr gegenüber ein schlechtes Gewissen. Enthemmung schadet nicht. Er war verwirrt, dass die sexuelle Annäherung ihm galt, er hatte das bisher anders erlebt und sah sich innerlich um, ob nicht jemand anderes gemeint war. Und sie noch maszlos. Spinnt der, mich stehenzulassen, zu erschrecken, ich bin seinetwegen, der Hübsche, gekommen, wütete sie innerlich. Wenn er nur wüsste wie das geht. Sie stutzte, wie konnte sie der Junge irritieren, wusste er nicht worum es geht. Sicher, wäre sie in ihrer Selbstverständlichkeit nur einen Hauch zurückhaltender gewesen. Sie ahnte nicht dass sie dieser Jungfrau nur mit einem Rückschritt den entscheidenden befreienden Atemzug ermöglichen musste. Sie konnte sich das nicht vorstellen, dass die Lust den entsetzten Verstand bei ihm vorantrieb. (Nach Jahren ihre Wiedebegegnung, mit seiner freundlichen Frage: Was wenn dann und wie wenn nicht. Sich gemeinsam anlächelnd, gleich bei welcher Antwort.) Äußerlich war man einander nicht vorgestellt. Namenlosigkeit, das ists! Was wäre wenn? Hatte er seine Rolle nicht überdacht, konnte er sich nicht vorstellen, daß er für die Bedürfnisse einer Frau lustvoll, nur namenlos, Gutes tun konnte, es ist armselig. Ohne Selbstbewußtsein krallte er sich an seinen eigenen Namen. Nun ist Mulgrew Miller tot, gestorben am Streß in der armseligen häßlichen Welt. Er fühlte sich stets nicht als Avantgarde sondern rückwärtsgewandt, passé, mit Blick auf die übersehenen Schönheiten der Vergangenheit, Phineas Newborn. Er wollte der Welt das Schöne entgegensetzen, er investierte, das kostete all seine Kraft und Geduld. Sein Blutdruck stieg. Les McCann hat im Quasimodo die lustlachende und -stönende Frau in der Ecke des Clubs abgekanzelt, ihr "hihihihi" nachgeäfft und gemeint, er spiele zum Zuhören, ob sie beide nicht gehen mögen. Die Jungs laden die Mädels wohl ein, weil der Jazzclub so smart ist und ihnen ein intellektuelles flair gibt. (Mal Waldron (Billys Pianist) flirtet, bandelt mit den jungen Mädchen an.) Aber echten Jazz hassen die Frauen, er ist leidenschaftlicher als sie (Paolo Conte, le donne odia(va)no il jazz). Die Liebe ist seitdem genauso häßlich, wie sie sich dort angekündigt hatte. Die matronesche Frau wühlt sich wutentbrannt durch die Menge davon, Hass auf ihn ausschüttend, Rache suchend, wie jede vor- und seitdem. Jedenfalls heute bekam sie keinen mehr ab freute er sich a priorisch hämisch. Die Annahme war Gewißheit. Das wenigstens hat seinen oberen Stolz wieder aufgerichtet. (Er hatte Nat Adderly verpasst im Quasimodo, so etwas unverzeihlich.)
Er trauert bis jetzt um die verpasste Sexgelegenheit. Entjungferung. Wo wäre der kunderasche Ekel und die Wehmut zum Außergewöhnlichen aus Der Scherz? (Muss man sich erst selbst oder andere kennenlernen?)
Gefühl gegen Verstand. Erweckung. Es merkte keiner, es interessierte keinen, was sie verpasst hatten. Was nur er merkte, wußte. Er ist die Elite, wie Virginia Woolf in den Wellen. Ist das snobistisch?
Am Schluß waren sie begeistert und wußten nicht warum. Das legten sie bestimmt in sexuelle Energie um. Leidenschaft durch Jazz. (Warum nicht in Ekstase nackt, barfuß, oder heureka schreiend, durch die Stadt laufen, es würde vieles vereinfachen.) Er wußte warum. Sein Verstand irrte, das Gefühl nicht. Er schlug Sex als Verstandesangelegenheit aus. Maßlos im Genuss von Musik. Gefühl gegen Trieb. Die Gesellschaft zu bekifft, hilflos sich selbst zu helfen. Mann, das ist aber auch alles so steril. Es schien so, als erwachten sie gegen Ende aus ihrer Ekstase und merkten, dass sie eine andere Ekstase verpasst hatten, nur war die schöner. Zu dieser Erkenntnis beklatschten sich alle selbst, auch die Musiker, ihre eigene berlinersche Bekehrung. Sie erkannten sich biblisch in New Yorks akrobatischen Citysex wieder.
Er wusste warum, er hatte Miller bürgerlich in Hamburg zuvor erlebt.
Auch dort wurde er niedergeschrieen. Er traf NHØP auf dem Klo. Irgendwie peinlich ihn dort zu begrüßen, beim Pinkeln, er unterliess es, hätte es machen sollen, er wurde auch nicht alt. Die Freundin, (Puls 100), meinte auf seine Bemerkung Miller sei ein Guter, woher er das wüßte, man wisse nie. Sie haßte ihren Vater, wie alle Mädchen. Sie entrüstet über das tollende lärmende lautstarke randalierende Volk. Und es klirrten Gläser wie auf den New Vorker Clubliveaufnahemen.
In Mannheim hörte das Publikum zu. Miller saß allein in der Umkleide, das traurige Bild. Er machte das schon Jahrzehnte. Er, sein Gast, war ganz vergnügt, das Konzertpublikum wusste nicht worauf es sich einliess. Ungefähr in der Hälfte des Konzerts wendete sich je ein Teil der Päarchen dem anderen zu und stellte den Irrtum und Fehler in ihrer Beziehung fest, sie liebten die Falschen, Erweckung, aber die falsche, die andere Hälfte kam zu ihrer Zeit zu demselben Ergebnis, alle, der ganze Saal von 500. Der Hass war gesät, wogte durch. Was kam später, er weiß es nicht. Miller spielte und vermittelte sinnliche Schönheit (Treue, Wahrheit (von Liebe redet keiner)), etwas was es in ihren bürgerlichen Beziehungen nie gegeben hatte, wie ihnen aufging.
In München klirrte die Schickeria, ausgewählt und eingeladen von Bang und Olufsen, mit den Kir Royal Gläsern. Adabeis, keine Elite. Als wir an der Treppe um Karten an der Kasse anstanden, denn sie, seine Mutter dazu, waren nicht eingeladen, schaute sie sich um und bemerkte für alle vernehmlich, "Weisst Du ("Sohn"), was uns von den anderen unterscheidet? Wir sind nicht so dumm wie die anderen." (Wollen nicht so dumm sein, meinte sie. Nachdenken.)
(Er ist noch Horace Silver durch Deutschland nachgereist, Kommentar Berlin: "Das war doch was." bestimmt vom schönen Mädchen mit Freundin hinter ihm. Kommentar München: "Die waren gut." vom gedankenverlorenen Vater. ... Er kannte sie schon, wusste es nicht.)
Mutter weinte im Konzert, es ging ihr wie schöne Musik stets an das Gefühl. Da sie ein vernarbtes Trommelfell (Kriegskind Mittelohrentzündung vor Antibiotika) hatte, hörte sie nicht so gut, wie sie es wünschte. Sie bekam ein Glas Sekt von B&O spendiert (die gekauften Karten (aus der vorherigen Stadt, in München gabs an der Kasse nur den nummerierten Abrissschnipsel) sahen identisch, wie die verschenkten aus, hatten nur einen anderen leicht zu überspielenden blassen Stempel und galten als Gutschein), er eine CD.
Er schüttelte Mulgrew Miller nach dem Konzert die Hand und überreichte ihm ein kleines Geschenk (Keller, Generalbassschule). Er dankte ihm für, die Mühe konzertant durch Deutschland zu reisen. Miller stutze, freute sich später aber doch, weil er ihm zuwinkte. Und zu tingeln. (kategorischer Imperativ, "You can even swing!", er muss es noch selber machen.)
Der Händedruck war beunruhigend, ganz weich, sanft und dennoch beunruhigend, warum?
Jedenfalls wurde er widerlegt, Herz, Nervenknoten dahinter und Unterleib bilden einen reflektorischen Kurzschluß, den das Hirn höchstens modulieren, dämpfen oder fantasievoll verstärken kann. Ihm fiel es später ein, als er drüber nachgedacht hatte, Miller war etwas kleiner als er (190cm). Aber hatte, was selten vorkommt, größere Hände als er (knappe Dezimen).
https://www.youtube.com/watch?v=vHX1QHwzPX8
Bei Storyville: The Duo - Live
Millers Aphorismen:
Farewell to Dogma
Interview Jazz (sich interessant machen)
Mulgrew Miller zu Parkers Konzept, Wurzeln im Blues, im sozialen Austausch, vermeintlicher Progressivität (Cool Blues, Four)
https://www.youtube.com/watch?v=hMeEVcr_zlk
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Gesellschaft der Arno Schmidt Lese=Rinnen ( GASLI )
gegründet 1870 / 71 – ZERSTÖRT 1967
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