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9. April 2022

Nachtrag zu "gessen"

 ## Nachtrag zu gessen

Liebe Liste,
vielleicht eine Lösung.

Für gessen gibt es eine Fundstelle mit gessern, gestern, das ist banal.

Dann versuchte ich gegessen: Idiotisch!

Wenn gessen vergessen ohne ver wär, gibt folgende Stelle einen Sinn.

„(‹Mein Vater, der Schelm, der mich gessen hat› : neenee. Ohne mich.) ”
Aus: Arno Schmidt: Die Wasserstraße. In: Arno Schmidt: Bargfelder Ausgabe, Werkgruppe I, Bd. 3. Zürich 1987: Haffmans. ISBN: 3-251-80003-5, S. 454
 

Ein Vater, der den Sohn nie wollte oder akzeptierte, lehnte ihn dermaßen ab, dass er ihn nicht mal mehr vergessen musste.

Diesen vovergessenen Zustand für den Vater, der die Existenz des Sohnes nicht vorsah, sein Sohn wäre stets vorexistent, selbst bei aller existenzstreuenden Lust des Vaters, macht Schmidt ihm zum Vorwurf, indem er durch Weglassen des ver, das Versehene des Vergessens ihm abspricht, er kann nicht mal mehr irgendeine Scheisse seines Polizistenlebens vergessen, sondern der Vater ist das Gegenteil eines gusseisernen Gedächtnisses, er ist nicht fähig seiner eigenen Traurigkeit, oder irgendetwas Anderen, zu gedenken, weswegen nicht mehr vermittelt vergessen wird, sondern nur mehr direkt, frontal, brutal gessen werden kann, da ist nur direkt des Vaters Lebensscheisse für den Vater.

Die Abgrenzung geschieht dann mit: Ohne mich. Das ist leicht zu verstehen, ich bin durch eine Vergewaltgung, Sinnlosigkeit, Wollust .... entstanden,  aber du sprichst mir nicht ab: Ich bin!

Sie legen sich das weiter zurecht.

Gruß K. W.

Verehrte List,

vielleicht versteh’ ich da (wieder) ‘was nicht. Doch „…mein Vater der Schelm der mich gessen hat…” ist doch ein Zitat aus ‘Fundevogel’ in Grimms Märchen. Leider habe ich keine Ausgabe zur Hand für ein ad loco Zitat. Also <gessen> eben doch <gegessen> Oder ?  TH

Liebe Liste!

Zum Machanbelboom

meine Mutter kocht mich,
mein Vater aß mich,
Schwesterchen unterm Tische saß,
die Knöchlein all all auflas,
warf sie übern Birnbaum hinaus,
da ward ein Vögelein draus,
das singet Tag und Nacht.

In einer Stelle von Göthes Faust S. 225, wozu unser Märchen den Commentar liefert, und die der Dichter unstreitig aus altem Hörensagen aufnahm, lautet es so:

meine Mutter die Hur,
die mich umgebracht hat,
mein Vater der Schelm,
der mich gessen hat,
mein Schwesterlein klein
hub auf die Bein,
an einem kühlen Ort,
da ward ich ein schönes Waldvögelein,
fliege fort, fliege fort!

http://www.zeno.org/Literatur/M/Grimm,+Jacob+und+Wilhelm/Märchen/Kinder-+und+Hausmärchen+(1812-15)/Erster+Band/Anhang/Zum+Machandelboom.+No.+47.

Das Märchen hat Philipp Otto Runge den Brüdern Grimm geschickt.

Mein Vater aß mich,

also ein Menschenfresser

Goethe diktiert ein schlechtes Gedicht metrisch verstümmelt und aufgebläht

mein Vater der Schelm,
der mich gessen hat,

Was ist der Schelm hier, bloß eine Untertreibung, herabspielen? Oder ernst? Oder schon Realitätsverlust?

Arno Schmidt zitiert missverständlich, ohne Zusammenhang, aus einem berühmten Werk, was er sonst nicht macht, er nimmt die unbekannten. Weil es ihm etwas über seinen Vater sagt. (Um die metrische Kürzung der Vorsilbe ver erkennen zu geben, hätte er eine weitere Zeile zitieren müssen. Insofern legitimiert er die Kürzung jenseits der Metrik.) Zumal der Leser keine Chance hat sie als Zitat zuzuordnen.

Meine Deutung, die Schmidt in seiner psychlogischen Beschaftigung mit sich selbst hineinliest, ist:

gessen ist ein verschwiegenes Etym: ge / ver gessen.

(Ich halte an meinen Vorinterpretationen fest!)

Runge hätte doch einmalig klar gereicht, nein einer muss es "verbessern" , Quark treten, und der letzte unvollständig, missverständlich, irreführend zitieren. Und meines Erachtens kaschieren, dass es ihm etwas sagt, was der Leser nicht wissen darf.

Runge hat wie Goethe eine Farbenlehre erstellt, war er Goethes Konkurrent oder arbeiteten sie gemeinsam zusammen? Runge war im Gegensatz zu Goethe richtiger Maler. (Meine Kunstfälscher Posin meinten er sei wichtig, erwähnt es zusammen mit Cranachzeichnugen.)

Goethe hat sich für die (standes-) freie weimarer Zeichenschule eingesetzt.

Gruß
K. W.

Ein großartiges Zitat in dieser Goethe-Version für Schmidt!

Lieber Herr W.,
Danke, dass Sie dem nachgegangen sind. Ich musste erst in Ihrem ersten
Post nachschauen, auf welchen Schmidt-Text Sie sich bezogen ("Die
Wasserstraße"). Ich hätte gewettet, es wäre "Zettel'S Traum" gewesen.
Denn (auch) dort hätte es in viele Kontexte, in denen Pagenstecher Vater
oder Mutter erwähnt (übrigens im Verhältnis 2:3 - die Mutter hat ihn
schlicht länger ... sagenwirharmlos: genervt) wunderbar hineingepasst.
Auf die Frage, womit man Pagenstechers Mutter vergleichen könnte, gibt's
die "duphtende" Antwort: "Minn'a JaucheTonne". (Hure sowieso.)

Der "Schelm" wird erst im Laufe des 18. Jh. allgemein verlustigt, aber
noch Ende des 18. Jh. kann Schiller das Wort im Sinne von "Verräter"
benutzen.
Usprünglich ist Schelm ein Äquivalent für "Seuche", Pest gar, daran
anschließend wird das Wort personifiziert und meint einen Bösewicht,
konkretisiert werden kann das dann im allgemeinen Sprachgebrauch als
Teufel, Henker, Abdecker, ...
Da es sich bei den beiden letzten Menschengruppen um sozial Verachtete
handelt, wird aus dem Schelm dann zunächst ein bemitleidenswerter armer
Kerl, bis man ihm später im Laufe des 18. Jh. liebevoll von oben herab
über den Kopf streicheln kann, dass er einen schelmisch angrinst.
Ach, wer hätte diesen süßen Schelm denn nicht zum Fressen gern!

Goethe sieht den Schelm aber offensichtlich noch ganz als Aasgeier oder
Oger, den Menschenfresser in der Familie.
Kennt man aus dem Tierreich - Alphatiere, die den männlichen Nachkommen
verwehren, die Mutter zu begatten und die ödipalen Konkurrenten daher
vorsorglich verspeisen.
Urszene, Totem und Tabu; Kalbsleberwurst löffeln in Däns Keller als
"Annamoomoo"&BulleOtto-Totemmahlzeit (alias Abendmahl; sage niemand, die
Xten verstünden nichts von Menschenfresserei mit ihrer Gruselreligion!)

Wohl bekomm's, Otto Schmidt!

"Schon ist Mittag." (Ingeborg Bachmann, Früher Mittag, 1952, "Sieben
Jahre später.")

In diesem Sinne:
Behalten wir unser Hirn!
W. H.

Lieber Herr H.,

natürlich hätte ich mich um die historische Bedeutung des Schelms kümmern müssen.

Mit Runge direkt funktioniert das Konstrukt nicht!

mein Vater aß mich, neenee. Ohne mich.) ”

Also Schmidt braucht Goethes Schlamperei, die er doch an anderer Stelle, kritisiert....zerreisst. Hängt Schmidt von schlechter Literatur ab? Meyern et al.

Aber wieso finde ich Runge besser? Der Vogel singt Tag und Nacht.

Zur Farbenlehre haben sich Runge und Goethe konstruktiv ausgetauscht. (Auch wenn sie falsch ist, unter Malern wurde / wird sie bevorzugt. Des Einheitsgedankens wegen.)

Das Tierreich:

Und wenn an meiner Erklärung irgendetwas dran ist, erklärt mir das Schmidts Weltvernichtungsgehabe, denn das wäre dann weniger linkssozialistische Weltbeglückung, oder Reemtsmasche Friedensnobelierung durch das kriegerische Kapital, sondern ein sündenloses, unschuldiges, genüsslich sadistisches, süffisantes, wollüstiges Hineinsetzen in des Vaters hemmungslose Alphatierphantasien und -realitäten, in dessen Stellung gegenüber dem Sohn: Ohne mich!

Einen schönen Gruß
K. W.

Daß Goethes Farbenlehre "falsch" sei, ist auch so eine Legende  - hier werden ja einige gepostet. "Falsch" ist sie nicht, vielmehr eine alternative Naturauffasung, und die Maler "bevorzugt(en) sie, weil Goethe der erste war (so weit mir bekannt), der was Fundiertes zur Physiologie des Farbensehens zu sagen hatte. Was in der Goethes "Farbenlehre" stört, ist die völlig unangebrachte und unverschämte Polemik gegen Newton.

Übrigens, wegen des Schmidtbezugs, da gibt's für die Naturauffasung 'ne ganze Reihe. Ich nenne mal nur Tieck und Schopenhauer. Verbindungsstück zwischen Tieck und Schopenhauer wäre dann Schelling, den Schmidt aber wohl nicht achtet und beachtet. Und weiter ginge es über Eduard v. Hartmann bis zu Ernst Bloch. "Noch völlig unzerträumtes Material"!

Zu Hartmann (weil das einige wohl nicht glauben): Schmidt nimmt als eigene Leistung in Anspruch, den allgemeinen Willen mit Intelligenz ausgestattet zu haben. Eben das findet sich beim Schelling- und Schopenhauer"schüler" EvH., ich glaube, in seiner "Philosophie des Unbewußten".

MfG

K. S.

Lieber Herr S.,

ich sehe Goethes Farbenlehre auch nicht schlecht.

Mit Philosophie bin ich ein wenig durch, dem Hartmann werde ich nachgehen.

Von Bloch habe ich den Thomas Müntzer hier, Bloch war doch der Studentenverführer.

Sind das nicht hintenrum eingeführte Gottesbeweise?

Ich empfehle das schöne Buch 100 Gottesbeweise und meinen Freund, der immer lehrreich ist: neumaier-wilfried.de

Einen schönen Gruß
K. W.

Lieber Herr H.,
ich hab das vor einigen Tagen geschrieben, finde aber meine Stimmung dazu nicht mehr wieder.
In diesem Sinn schicke ich es.

Einen schönen Gruß
K. W.

>Mit Philosophie bin ich ein wenig durch, dem Hartmann werde ich nachgehen. 

Moment Kapelle! Eh' Sie zuviel Zeit reinstecken. Die "Philosophie des Unbewußten" zielt auf das, was kein Bewußtsein hat, also die Materie. H. konnte den Begriff vor Freud noch unbefangen verwenden. Ich habe in dem Buch auch nur rumgeschnobert und die Parallele zu Schmidt in einem Blochaufsatz über Hartmann gefunden. Nicht alles was die Leute hier erwähnen, haben sie auch gelesen.

Der Anknüpfungspunkt war ja die "alternative Naturauffassung" Goethes in seiner Farbenlehre. Das erinnerte mich an Schmidts Lob der Romantiker, die seiner Meinung nach Naturwissenschaft und Literatur verknüpft hätten. Ähnlich, wie es im 16. Jh. geschehen sei. Ich halte das für falsch. Weder Tieck noch ETA Hoffmann, noch Brentano oder Eichendorff versauten sich ihre Werke durch derartige Versuche. Sie wären  unwissenschaftlich geworden und hätten  andererseits schlechte Literatur ergeben.
Vielleicht kranken Schmidts Juvenilia ja gerade an dieser Auffassung.
Allerdings schmökerten Tieck und Novalis in den 90ern im "Böhme" und Tieck empfiehlt ihn Schelling wärmstens zum Studium . Und da haben wir dann die Linie: Böhme - Tieck (Schmidt-Bezug) - Schelling (die Willensmetaphysik) - Schopenhauer (Schmidtbezug).

Aber dieses Mail kann man natürlich auch als Witz im Morgengrauen lesen.

MfG

K. S.

Lieber Herr H.,
Ihr Text ist sehr schön. Warum lässt er mich unbefriedigt zurück? Warum verdient das deutsche Volk, von immer noch umsonst Konsaliktauschern, was ihm gerade von Maskenuniformbekleidungsherstellern und biologisch kämpfenden Unternehmen geschieht und was es erlebt. Warum freut es mich, dass Reemtsma erfolglos auf auf einen Weltbeunglücker setzt, und das Einzige, was die Erfüllung verhindert Schmidts Armut ist. Nur arme Poeten sind gute Poeten. Warum schreiben erfolgreiche Tagebuchschreiber lückenlos Belanglosigkeiten auf? Arno Schmidt als Paradeundeutschen betrifft das nicht, er invertiert und exkludiert sich in seiner Haide, in Explosion. (Hat er doch zuletzt noch einen belanglosen Politiker literarisch gemacht, wer war das?)  

Warum ändert das auch nicht Schmidts letzte Arabesque und Pirouette? Und die Metapirouette aller Literaturwissenschaftler. Weil es ein genauso beschissenes Modell, wie das von Kosmologen, Wirtschaftsmathematikern und Virologen ist? Weil es eine modische Simulation von Wirklichkeit und der Abhilfe davon ist? Oder gar einer Verbesserung davon. Ist Literatur jetzt heil? Wenigstens muss ich zur Zeit genau lesen, dass ich nicht auf meine Wünsche an Gelesenes hereinfalle und negiere oder die Verneinung weglese. Also rosa Elefanten übersehe. Es gibt dazu schöne Versuche, wie Zettels Web=Fehler in Mustern vom Hirn automatisch ergänzt und gestopft werden, also durch Verbesserung übersehen werden. Es kommt aber doch ab und zu auf die bewusstgewordenen Fehler an.

Es ist wie mit den Differentialen bei Leibniz, die fangen an gegen das unendlich Kleine zu laufen, sobald man das Buch aufschlägt, klappt man es zu, hören sie auf und bleiben wieder stehen. Es ist aber genau umgekehrt, das Differential ist neun Meter lang. Nachweislich.  

Das einem Nobelpreis Angemessene sucht Schmidt untertänigst, und verlangt ewigen unsterblichen Ruhm den von ihm Erinnerten für einige Bände Prosa, für einige Zeit. Sich selbst kann er in seiner Erfolgsbewunderung nicht einordnen. Ich habe erkannt, daß gewisse Geschmacklosigkeiten gründlich tief mit Gewinn durchlebt werden. Gar Entdeckungen bereithalten. Geschmacklosigkeiten können ihren Zweck haben. Ich muss Anderen Gründe für deren Geschmacklosigkeit zubilligen, dann kann ich, ohne Vorurteile, Gewinn daraus ziehen, kann mich der Andere mit seiner Geschmacklosigkeit überzeugen, Würze geben oder ändern, und ich den zeitgeschichtlichen Sinn für mich in solchem Mist erkennen. Das ist eine Erkenntnis aus gemeinsamen Musizieren über nichtverstandene vermeintlich schlechte Stücke, die mir nicht gefielen, zu Unrecht, der Mitmusiker wusste, was er wertschätze und vermittelte es mir im gemeinsamen Musizieren. Oder Arno Schmidt singt in einer Ausstellung mit uns, mit mir. Sein Interesse für Populärmusik, besser Textstellen. Diese Täler muss man durchschreiten. Deswegen nervt mich Schmidts fehlerlose Ausdruckspimpelei. Aber Schmidt hats nach dem Frühwerk mehr mit dem Elysium.

Einen schönen Gruß in die Runde
K. W.

Lieber W.,
als älterer Mensch bin ich sehr für Höflichkeit. Aber vielleicht kann man sie auch übertreiben.
Natürlich steht bei dir zwischen den Zeilen, dass du einem Ahnungslosen antwortest.

Aber ich möchte noch viel entschiedener widersprechen, wenn jemand, der selber kaum einen klaren
Gedanken oder einen geraden Satz äußern kann, sich kenntnis- und verständlislos unterfängt, die wohl
bewegendste Stelle im 'Faust' zu bekritteln. Wenn ich sehe oder lese, wie Gretchen nach Liebe und
Lust im Irresein versinkt, dann schaudert mir die Haut (Vorsicht, Zitat). Wenn ich mit dem Hirn
wahrnehme, wie ein junger Mann, Anfang 20, Vorgefundenes oder Erinnertes geradezu genial umformt
(nicht diktiert; kam erst später bei Goethe), dann wehre ich mich nicht gegen sowas wie Ver- und
Bewunderung.

Und nun das: "Goethe diktiert ein schlechtes Gedicht metrisch verstümmelt und aufgebläht"

Kann das jemand fassen? Das Metrum stimme nicht? Nebenbei: welches Metrum? Zur Aufklärung: Im
'Faust', allgemeiner in vielen guten Gedichten, stimmt oft das Metrum nicht, mit gutem Grund. Wie
soll man mit einem Beckmesser reden, dem man das sagen muss. Und gar 'aufgebläht'? Nein, ich fasse
es nicht.

Es kommt noch schöner: "Quark treten" als Fazit für diese Stelle. Da bleibt doch nur noch peinlich
berührtes, betretenes Schweigen.

Und Arno Schmidt? Der spielt am Ende der 'Wasserstraße' auf diese Stelle an. Dem Ich-Erzähler kommt
sie in den Sinn. Und natürlich zuerst und vor allem als Erinnerung an das Entsetzliche, das aus
Liebe und/oder Lust werden kann. Es fließen sogar Tränen. Voraus geht nämlich nach ein paar von den
4 Protagonisten quasi vertändelten Stunden die gemeinsame Lektüre eines Fahndungsplakats an der
Haltestelle: ein scheußlicher Sexualmord ist passiert. Die Faust-Anspielung hat eigentlich nichts
Geheimnisvolles.Und 'gessen' bleibt 'gegessen'. Nichts daran ist "missverständlich, irreführend".

Ob es irgendeinen Sinn macht, über 'gessen' als 'vergessen' zu spekulieren? Leicht ist es ja. Man
hantiert mit den Wörtern 'Vater' und 'gessen', ohne auf Zusammenhänge zu achten; nicht mal lesen
muss man die 'Wasserstraße'. Ergebnis: Schmidts Vater hat ihn vergessen. Verständnis- und
Erkenntnisgewinn? Aber freilich: Schmidt wollte "kaschieren, dass es ihm etwas sagt, was der Leser
nicht wissen darf."

Na, dann ist ja gut, dass es endlich aufgedeckt wurde. 2 Fragen bleiben mir: Was fange ich jetzt
damit an? Und warum in aller Welt durfte ich das bisher nicht wissen? (Wenn Schmidt Katzen gequält
hätte, oder so....)

Zu unhöflich? Wer so munter verurteilt, kann ja wohl was ab, hoffe ich.

Im übrigen biete ich mich an, mit dieser Art von methodischem Vorgehen jeglichen, aber auch
jeglichen Unfug aus Schmidts Büchern abzuleiten (Z.B. das mit den Katzen....)

Grüße an die Runde,

J. M.

Sehr geehrter Herr M.,
das ist heftig, was sie mir vorwerfen: Ahnungslosigkeit!

"Goethe diktiert ein schlechtes Gedicht metrisch verstümmelt und aufgebläht"

Gut das Gedicht ist bedeutend! (Mit 20? o.k.) Aber gerade dann zitiert Schmidt es nicht. Warum tut ers doch?

Ein anderes Gedicht, erkennen Sie es wieder? (Thema im Einbürgerungstest.)

Meeres Stille

Tiefe Stille herrscht im Wasser,
ohne Regung ruht das Meer,
und bekümmert sieht der Schiffer
glatte Fläche rings umher.

Keine Luft von keiner Seite!
Todesstille fürchterlich!
In der ungeheuren Weite
reget keine Welle sich.

(so arbeitet der Herr)




Goethe als Minister, der Wehrausgaben senkt, gefällt mir. (Das "ge" _ist_ aus metrischen Gründen weggelassen.)
 Ich beherrsche kein Deutsch, richtig.

Hermann und Dorothea hab ich gelesen, mich drückt die Not auch härter als das Gesetz, die Wasserstraße las ich:

Gerade dieses Fahndungsplakat erschließt sich nach meinen Annahmen. Das passt dann!
(Dieser scheußliche Mord ist denen doch nur interessant. Nebenbei Zitat und Plakat fallen beide aus der Geschichte.)

"kaschieren" ist ungenau, zugegeben, so dumm war Schmidt nicht. Vielleicht hätte ich simpler "aussprechen" schreiben sollen. Ich wollte auch nicht betonen, daß ich etwas aufgedeckt oder gar entschlüsselt hätte.

Nehmen Sies als Kommentar.

Und leider habe ich "Nobelpreis" in der eba gesucht.
Ich mag Käthchen lieber.

Ich verbleibe mit barocken Formeln stetem Spott gewahr und übertreiben Sie nicht!
K. W.

 Hallo Herr S.,
ich hatte Ihnen nicht verraten, dass Spinoza bei Neumaier unter Pseudotheologik firmiert, wir drei also schön wieder auf den Anfang zurückgeworfen sind. Bloß Beweise hintenrum stoßen mir auf.

In die Ethik werde ich dennoch reinstöbern. So als Ausgestoßener, Unberührbarer. (Was wir Hunde halt wert sind.)

Pfia Gott,

K. W.

Ni dieu, ni maitre.

Liebe Liste,

für gessen böte sich noch abgegesssen an, wenn man grammtikalisch zu: Mein Vater, der auf mich abgegessen war, und ich auf ihn, neenee. Ohne mich!

korrigiert.

Interessant der Wechsel von haben zu sein.

Die Bedeutung abgegessen dürfte aber jünger als Schmidt sein. Postschmidt sozusagen.

Ich ziehe dies nur der Vollständigkeit halber an den Haaren herbei.

Gruß K. W.

P.S.: Ich finde Flinten Uschi verharmlosend.


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