Unter den Hochzeitsgästen hatte sich, wie schon kurz erwähnt, auch ein
Doktor Pusch befunden, ein gewandter und durchaus weltmännisch wirkender
Herr mit gepflegtem, aber schon angegrautem Backenbart. Er war vor etwa
fünfundzwanzig Jahren an der Assessorecke gescheitert und hatte damals
nicht Lust gehabt, sich ein zweites Mal in die Zwickmühle nehmen zu
lassen. »Das Studium der Juristerei ist langweilig und die Karriere
hinterher miserabel« so war er denn als Korrespondent für eine große
rheinische Zeitung nach England gegangen und hatte sich dort auf der
deutschen Botschaft einzuführen gewußt. Das ging so durch Jahre.
Ziemlich um dieselbe Zeit aber, wo der alte Graf seine Londoner Stellung
aufgab, war auch Doktor Pusch wieder flügge geworden und hatte sich
nach Amerika hinüber begeben. Er fand indessen das Freie dort freier,
als ihm lieb war, und kehrte sehr bald, nachdem er es erst in Newyork,
dann in Chikago versucht hatte, nach Europa zurück. Und zwar nach
Deutschland. »Wo soll man am Ende leben?« Unter dieser Betrachtung nahm
er schließlich in Berlin wieder seinen Wohnsitz. Er war ungeniert von
Natur und ein klein wenig überheblich. Als wichtigstes Ereignis seiner
letzten sieben Jahre galt ihm sein Übertritt vom Pilsener zum
Weihenstephan. »Sehen Sie, meine Herren, vom Weihenstephan zum Pilsener,
das kann jeder; aber das Umgekehrte, das ist was. Chinesen werden
christlich, gut. Aber wenn ein Christ ein Chinese wird, das ist doch
immer noch eine Sache von Belang.«
...
»Nein, Herr von Szilagy, so tief ließ mich die Gnade nicht sinken. Aber
ich treibe mein Wesen über dem Strich, und wenn man so Wand an Wand
wohnt, da weiß man doch einigermaßen, wie's bei dem Nachbar aussieht.
Ach, und außerdem, wie so mancher hat mir sein Herz ausgeschüttet und
mir dabei seine liebe Not geklagt! Wer's nicht leicht nimmt, der ist
verloren. Roman, Erzählung, Kriminalgeschichte. Jeder, der der großen
Masse genügen will, muß ein Loch zurückstecken. Und wenn er das redlich
getan hat, dann immer noch eins. Es gibt eine Normalnovelle. Etwa so:
tiefverschuldeter adeliger Assessor und ›Sommerleutnant‹ liebt
Gouvernante von stupender Tugend, so stupende, daß sie, wenn geprüft,
selbst auf diesem schwierigsten Gebiete bestehen würde. Plötzlich aber
ist ein alter Onkel da, der den halb entgleisten Neffen an eine reiche
Cousine standesgemäß zu verheiraten wünscht. Höhe der Situation!
Drohendster Konflikt. Aber in diesem bedrängten Moment entsagt die
Cousine nicht nur, sondern vermacht ihrer Rivalin auch ihr
Gesamtvermögen. Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute
noch... Ja, Herr von Szilagy, wollen Sie damit konkurrieren?«
Und so auch, meine Herren, wenn ich von moderner Literatur spreche.
Herr von Szilagy, den wir so glücklich sind, unter uns zu sehn, soll
aufgerichtet, seine Seele soll mit neuem Vertrauen erfüllt werden. Oder
aber mit Heiterkeit, was noch besser ist. Er soll wieder lachen können.
Und wenn man solche Wirkung erzielen will, ja, dann muß man eben
deutlich und zugleich etwas phantastisch sprechen. Indessen auch
ernsthaft angesehen, wie steht es denn mit der Herstellung (ich vermeide
mit Vorbedacht das Wort Schöpfung,) oder gar mit dem Verschleiß der
meisten dieser Dinge! Lassen Sie mich in einem Bilde sprechen. Da haben
wir jetzt in unsern Blumenläden allerlei Kränze, voran den aus
Eichenlaub und Lorbeer bestehenden und meist noch behufs besserer
Dauerbarkeit auf eine herzhafte Weidenrute geflochtenen Urkranz. Und nun
treten Sie, je nach der Situation, an die sich Ihnen mit betrübter oder
auch mit lächelnder Miene nähernde Kranzbinderin heran, um zu Begräbnis
oder Trauung Ihre Bestellung zu machen, zu drei Mark oder zu fünf oder
zu zehn. Und genau dieser Bestellung entsprechend, werden in den
vorgeschilderten Urkranz etliche Georginen oder Teichrosen eingebunden
und bei stattgehabter Höchstbewilligung sogar eine Orchidee von ganz
unglaublicher Form und Farbe.«
»Kenne die Orchidee«, rief Wrschowitz in höchster Ekstase, »lila mit gelb.«
Pusch nickte, zugleich in steigendem Übermut fortfahrend: »Und
genau so mit der Urnovelle. Die liegt fertig da wie der Urkranz; nichts
fehlt als der Aufputz, der nunmehr freundschaftlich verabredet wird. Bei
Höchstbewilligung wird ein Verstoß gegen die Sittlichkeit
eingeflochten. Das ist dann die große Orchidee, lila mit gelb, wie
Freund Wrschowitz sehr richtig hervorgehoben hat.«
Fontane, Der Stechlin, 34. Kapitel.
Gesellschaft der Arno Schmidt Lese=Rinnen ( GASLI )
gegründet 1870 / 71 – ZERSTÖRT 1967
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