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Als im Herbst 1933 bei Samuel Fischer zu Berlin als erster Band eines Zyklus Die Geschichten Jaakobs von Thomas Mann erschienen, mochten viele Leser die Köpfe schütteln. Wie denn war das derselbe Dichter, der in den vergangenen Jahren bei jeder Gelegenheit seine Gegenstellung zu Irrationalismus und Faschismus bekundet hatte? Durfte man von ihm nicht neue gesellschaftskritische Taten wie den Zauberberg oder die Mario-Novelle erwarten? Und nun legte er einen Roman aus allerfernster Vergangenheit und außereuropäischer Lokalität vor! Die Unstimmigkeit zwischen Werk und Zeit, Erzählung und einstigem politischem Engagement schien offenkundig zu sein.
Die damaligen Beurteiler irrten ebenso wie jene, die noch heute ,von der »Abseitigkeit« der Joseph-Tetralogie sprechen. Schon ein Blick auf die Entstehungsgeschichte der vier Bücher zeigt ihre enge Verknüpfung mit einer bestimmten Phase der spätbürgerlichen Literatur und mit der Biographie des Autors. Auffälligerweise gestalteten nämlich in den dreißiger und vierziger Jahren zahlreiche Schriftsteller historische oder mythologische Stoffe. Wir erinnern nur an Feuchtwangers Trilogie um den jüdischen Geschichtsschreiber Josephs, an Heinrich Manns Henri Quatre, Hesses Narciß und Goldmund, Bruno Franks Cervantes, Hasenclevers Columbus, Bruckners Napoleon, Brochs Tod des Vergil und auch an Gerhart Hauptmanns Atriden Tetralogie. Natürlich hängt diese stark historische Orientierung mit dem 111 Aufkommen und dem Sieg des Faschismus in Deutschland zusammen. Die bürgerlichen Künstler erlitten dadurch einen schweren Schock. Einerseits sahen sie ihr Vaterland in Barbarei versinken, einer echten Zukunftschance vorläufig beraubt und sich persönlich überwiegend ins Exil getrieben, andererseits verwehrte es ihnen ihre Klassenposition, aus der sozialistischen Perspektive Kraft zu schöpfen. Ihre Kunst trat auf der Stelle. Resignierend bemühten sie sich um eine deterministische mythische »Weltordnung«, die freilich »einen Keim des Verzichts auf das erkenntnistheoretische Streben« in sich barg (Stanislaw Lem)145 Wollten sie ihren Glauben an Entwicklung und Fortschritt bewahren, konnten sie sich eigentlich nur »historisch« ausdrücken. Dann brauchten ihre Werke nicht mit einer Negation zu enden, vielmehr hatten sie die Möglichkeit, sich mit dem Wissen um große geschichtliche Entfaltungen der Humanitärsidee gegen den herrschenden Ungeist zu wappnen.
Eberhard Hilscher Thomas Mann
Reihe Schriftsteller der Gegenwart
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