arno
Geschöpft Freitag, 16 Oktober 2015Vater und Sohn in der Arno Schmidt Ausstellung 100 Stationen.
Ein praktisches Theorem.
Unterhaltsam, informativ, lehrreich, anekdotische Zitation.
Der Raum zu dunkel, zu sakramental, das ist dem Designerzeitgeist geschuldet. Wird vergehen. Wir fokussieren auch im Hellen. Zu wenig Säle, bitte mindestens drei, die Wand akkurat durch Station 34, erstes Drittel, und 67, zweites Drittel.
Fazit: Empfehlenswert.
Der Vater liest dem fünfjährigem Sohn die Stichworte vor, die der auf dem Touchscreen drückt. Dann die dazugehörigen Zitate. Geduld bis zum ersten.
Ob ihm der Regen, die Wurst, der Schnaps, der Schmutz, die Zunge was sage? Ja. Er antwortet, das sei eine pelzige Zunge, und interpretiert richtig und erweitert es. Ottos mops und Morgensterns Schnupfen, sind einfach auswendig gelernt, und lassen keine Weiterentwicklung zu, aber gerade das macht er. Schmidts Sprachspiele fordern, unvollständig und teilverständlich, wie sie sind, heraus.
Es ist ein Vorurteil, dass er nicht dazu in der Lage ist, oder wie Wittgenstein zu glauben, dass Kindersprache mit Substantiven anfängt. Sie fangen bei Belieben mit Verben an.
Schmidt erzählt über achtzigjährige Kinder mit Rauschebart, die May lesen. "Bildungsanstalt" übergeht den achtjährigen.
(Der Junge ist vorbelastet, sie hatten das Papierhaus mit Figuren gebastelt, und waren in der FU-Ausstellung.)
Das Volk ist entrüstet, es war zu laut. Danach leiser gelesen.
Der Sohn begeistert bei den Schreibmaschinen "jauchzt vergnügungssüchtig", der Vater "knirscht und stampft" über die mit der breiten Walze. Wo bringt man diese Schmöker unter, wenn man das Krumengeld hat.
Beachte: Der Artikel in DIN A3 im tragbaren Datenkarteiformat.
Kind ohne Rauschebart lacht sich schlapp über das Karl May Video, denn er kennt den apodiktischen Ton des Vaters, ist es gewohnt zu kontrollieren und hört Aufmerksamkeit heraus.
Die Zettelkästen, das miniatürliche Klemmbrett, wunderschön, ausreichend verschiedene und dicke Bleistifte.
Ein Bord Bücher, stets gediegene Verarbeitung. Songes drôlatiques Illustrationen abwesend.
Der Schwarzweißfilm auf der Heide: Die Nachwelt fasst es als Spaziergang bedeutender Persönlichkeit auf, wie es gemeint ist. Gell?
Uuuuh, die schöne Fouquéausgabe im Stahlberg Verlag. 240 O-iih rho. Das ist eine fast so gute Performance, wie der Goldpreis der globalisierten menschenreichen Welt. Vegagold.
Der Sohn hört sich Schmidts zu zitierende Musikerfahrung vollständig eine halbe Stunde an. Der Vater liest Stürenburg. Aha, der Landvermesser, mit Fachausdruck Theodolith. Kaum wahnsinnig wie K.
Der Vater versteht: bodenlos die Musik. Auch warum Schmidt den Jazz ohne nähere Kenntnis schlecht machte. Er war derart textfixiert, daß er nicht bis zur Musik vordrang, sie beliebiges Beiwerk war. Er verurteilt, was er nicht kennt.
Musik und Text haben keine Beziehung, weiß der musikalisch alphabetisierte.
Aus diesem Vorkriegskitsch muss er aussteigen, das macht aggressiv, wütend.
Landvermesser nicht kindgerecht. Er erklärt nichts, nennt nicht die Triangulation, die Fehlerquadrate.
Aber zieht halbgelehrte Verbindungen, auf die der Vater selbst kommt. "Merk dir das Emmeline, sagte Frau Dr. scharf zur Nichte."
"Wir würfelten um praktisch die Theoreme der Wahrscheinlichkeitsrechnung nachzuprüfen." Nein. Entweder ist das ein Widerspruch, oder er würfelt lang genug, um Zettels Traum zu schreiben, lesen und verstehen. Die Theoreme der WR sind dieselben wie die der Logik, lesen Sie Poe, sie sind schlicht boolesch, und die Werte w müssen sie erfüllen. Tun sie nie. Schmidtwürfel mit der großen Zahl.
Er wirkt gehetzt, seine hundert Autoren schafft er, es reicht ihm nicht. Er will sie sich gönnen, seine Zeit wird knapp.
"Der träumende kleine Bruder" und "lesen Sie die Traumdeutung mal wieder."
Er gibt Vater und Sohn das seltene Interview: "Es gibt keine Wissenschaftlichkeit in den Literaturwissenschaften, in den Sozialwissenschaften allgemein. Genug, daß ICH diese Dr.s beschäftige. Sie sollen ihren Streit vermeiden, indem sie wie die akkuraten Physiker zu einem Standardmodell durchdringen, das einen Widerspruch logisch verbietet. Wenn es mich interessierte, also ich Zeit hätte, rechnete ich ihnen die Liederlichkeit darin vor. Es ist nebensächlich, ob die Physik die Bombe stärker platzen lassen wird."
Zettel: akurat, Batterie?
Zettel: Modellliederlichkeit. 3 L. Lied?
Zettel: liderlich
"Ich glaube, die Erde muss sich gedreht haben." So stehen lassen, nichts erweitern und erklären! Er wird kein Vian, der Ungetröstete.
Ein schlechter Lehrer versaut jährlich hundert Schüler. Was hatte Schmidt für Lehrer? War Schubert ein schlechter? Hagemeister entzündete bei den Kindern kein Feuer. Was lehrte Wittgenstein? Logik? Poe= logisch, Logarithmen. Realistisch blutarm, dürres Material, trotz barocker Umgarnung.
Schmidt gibt seine Autodidaktik nicht auf, läßt sich nicht abbringen, nicht dadurch, dass er allein Erfolg, Entwicklung sieht, keinem vermitteln kann. Er setzt es nicht voraus. Camus sagt uns: "Keine Angst"
Die 100 Arbeitsstunden, eine vernünftige Räteverfassung ablehnend, die Woche hat sechs Tage und zwölf Stunden bei Menzel im Eisenwerk, macht immerhin 84.
An dieser Stelle des Vaters Anekdote. Eine Hundertjährige, nebenbei Engel, wechselte unvermittelt zwischen dem Samariter, verschenkte ihr letztes Hemd, "kann ich Ihnen helfen?", und bot den zu einem Drittel gegessenen Kuchen an, und Bohèmienne, etwas später standen Kuchenteller, Untertasse, Tasse gestapelt, in letzterer versank das Kuchenstück titaniksch, sie hingefläzt, Zigarette fehlt, aus den Neunzehnzwanzigern, wegwinkende Handrückenbewegung: "Sie können abräumen."
Das Interessante, die tragische Frau war bei Verstand, abwechselnd demütig, exzentrisch. Am Verstand war bei der Anrede zu zweifeln: "Liebling, mein Herz läßt Dich grüßen," es dauerte etwas, bis er auf ein Schlagerzitat verfiel.
"Die gläsernen Ungeheuer des Windes berannen mächtiger das Haus" ist ein fades Zitat, ohne Nachweis erkannt. Mächtiger als was?
Der Hinweis kann nicht oft genug wiederholt werden, dass Schmidt seine Texte aus sinnig vielen Zitaten aufbaut, teils ausschließlich. Als Leser interessiert das nicht, er ist sowieso lesbar, aber der irisierende teils brüchige Charakter erklärt sich damit, und ist weniger Hemmnis.
Es ist unsichtbare Aufgabe der Herausgeber die Einheitlichkeit der Zitate herzustellen, und vielleicht die Werke, Abschnitte, Kapitel, Paragraphen danach umzugruppieren. Wehe! Es sei denn, es finden angeblich divergente Geschichten zusammen.
Den Stürenburgleser interessiert das nicht. Er hat ihn zusammen!
Vater denkt: Leseempfehlungen nach Schmidt zu geben und zu ergänzen. Auf den Cooper kommt der Schuberthörer alleine, sogar der Niels Klim ist nicht vergessen. Was dann kommt, sollte ins Licht gesetzt werden, manches wieder in den Schatten gerückt.
Nachdem er sich beim Holzfällen erregt, sich reuig und vor dem Obstbaum bezwetschgigt, pflanzen sie die spendierten Gänseblümchen preußisch in Sand ein.
Die erotischen Ausschnitte, Zeichnungen, wie Manfred Schmidts reizvolle Landschaft, und der Sears- und Roebuck Katalog bei Little Feat, aus dem, nicht der Bibel, die Amerikaner lesen lernen. (s.a.o. Illustrationen)
Der Wasserhahn der Sektanrichte vor der Ausstellung tropft und läuft, er hätte das vermerkt, seine Ruhe störend, eine improvisierte Geräuschkulisse, die Akademie aus den 70ern hat einen Charme wie er sich ein Stalinmausoleum vorstellt.
Kurz und gut: Die Ausstellung gibt Schmidt nicht aphoristisch, was nicht zu ihm passt, und die Biografie
erklärt bei Schmidt, wie sonst auch, nicht seine Romane, diesen Zusammenhang stellt die Ausstellung auch nicht her.
Der Katalog erscheint nicht, das Beiheft gibt die Verantwortlichen für die geschmackvolle Auswahl nicht preis.
Alices Tagebuch beobachtet genau. Zettels Traum, eine Last, ein Befreiungsschlag, jedenfalls zentral.
Schließlich die Tabletten, alle nicht mehr auf dem Markt. Schmidts vernünftige Arztverweigerung. "Apotheker: Die armen Kräutersammler?"
Zum Schluß im gekonnten Stürenburgallegro vivace eine handschriftliche Widmung:
Nie pathetisch schillernd!
Ihr A.S.
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